Mann-Sein heute: Wir Männer haben allen Grund, uns zu freuen!

Wenn du diese Überschrift liest: Was ist dein erstes Gefühl, deine erste Reaktion? Würdest du diese Aussage teilen? Oder wäre deine Aussage eher das Gegenteil?

Wenn wir uns heute dem Thema Mann nähern, begegnen wir Schlagzeilen wie: Die Jungenkatastrophe, Oh Mann, Unsere Schule schadet den Jungs, Wo sind die Männer hin etc. Der Tenor jedenfalls ist – zumindest überwiegend – negativ, problembeladen, wir Männer als Opfer, als Verlierer, als das eigentlich schwache Geschlecht, oft die Bösen. Was ich selten lese oder höre sind Artikel oder Wortmeldungen von Männern, welche mit dem, was in den letzten - vielleicht 50 - Jahren an Veränderungen in puncto Männer und Männlichkeit gelaufen ist, mit Gefühlen verbinden wie: Freude, Erleichterung oder Chancen. Warum ist das so?


Wir befinden uns in einem Veränderungsprozess

EIN Grund dafür ist: Wir befinden uns gerade mitten in einem schwierigen, anspruchsvollen Veränderungsprozess, teilweise weg von dem herkömmlichen Männerbild, den ursprünglichen Anforderungen an die Männer, auf dem Weg zu einem neuen Männerbild, zu dem neuen Mann. In diesem Prozess geht es manchmal drunter und drüber. Der einen gehen die Veränderungen nicht weit genug, dem anderen viel zu weit. Dem einen gehen sie zu langsam, der anderen zu schnell. Vielen machen sie Hoffnung, aber auch Angst. Viele Männer wissen nicht, wie sie diesen Veränderungsweg gehen sollen. Die Diskussionen sind vielfach heftig und hoch emotional. Vorurteile, Verletzungen, Rache, Hoffnungen, Erleichterung, Freude, alles das kommt vor in den Diskussionen zwischen Mann/Mann, Mann/Frau, Frau/Frau. In diese ohnehin schon anspruchsvolle Situation fallen Ereignisse wie die Bewegungen #MeToo, sicher notwendig, wo nicht klar ist, ob sie zu noch tieferen Gräben, zu Verbitterung von Frau, aber auch Mann führen, oder unterstützen, dass sich Mann & Frau - mit der Natürlichkeit der Geschlechtsunterschiede- näherkommen.

Die Verunsicherung auf allen Seiten ist gross, vor allem aber auf Seiten der Männer. Bin ich gewalttätig, wenn ich zu meiner Kraft stehe? Bin ich noch ein „richtiger“ Mann, wenn ich weine, mich von meinen Gefühlen übermannen lasse? Wie komme ich in Verbindung mit meiner Kraft, wie mit meinen Gefühlen? Was sind die Folgen, wenn ich das schaffe? Oder wenn ich das nicht schaffe? Und, vor allem: Wie geht es den Jungen, welche diesem Prozess oft hilflos ausgeliefert sind?
Solche Prozesse von Entwicklung und Veränderungen gehen nicht ab ohne eigene und gegenseitige Verletzungen, Verunsicherungen, Irrtümer. Es kommt bei diesen Veränderungen vielfach zu einer Übertonung der weiblichen Wesensart, oft zu Lasten der männlichen Wesensart. Es wird deutlich, dass dies bei vielen Jungen zu teils massiven Problemen führt, z.B. in der Frage, wo sie ihre männliche Energie erproben und erforschen, ihre Lebendigkeit austoben können, wo sie ihre Kräfte messen können (Stichwort: Gewalt). Auch in der Leistungsbereitschaft in der Schule. Viele Männer haben Probleme, vielfach ausgelöst von den „erfolgreichen“ Bemühungen mancher Mutter, Kindergärtnerin, Lehrerin mit dem Ziel, aus dem Jungen einen "besseren" Jungen oder Mann zu machen, was oft mit einer Verweiblichung des Jungen verbunden ist. Das kann auch durch das Vorbild eines Vaters mit einem hohen weiblichen Anteil geschehen. Diese ehemaligen Jungs und heutigen Männer erfahren oft, dass Frauen ihnen gegenüber auf Dauer den Respekt und die Achtung verlieren, wenn sie nicht in der Lage sind, „ihren Mann zu stehen“, ihnen gegenüber, aber auch den Herausforderungen des Lebens gegenüber. Denn anders, als bei unseren Vorgenerationen, machen sie dies heute auch deutlich.
Daher ist EIN wichtiger Grund für die oft negativ gefühlte Veränderung der Zeitpunkt, der Prozess, in dem wir uns gerade befinden.


Sind wir Männer die Verlierer?

Und was ist dran an dem Grundgefühl bei vielen Männern: Wir sind in dem, was gerade passiert zwischen Mann und Frau, die Verlierer, wir haben unsere Macht verloren?
Ich denke, unstrittig ist, dass der Mann Macht verloren hat über die Frau. Es gibt sicher Männer, welche das bedauern. Ich gehöre nicht dazu. Denn worauf beruhte diese Macht? Sie beruhte darauf, dass mein Geschlecht männlich ist, auf dem, was damit verbunden war. Sie hatte nichts zu tun mit z.B. Leistung, mit Haltung, mit Verantwortungsbewusstsein. Alles Qualitäten, wie sie zu einem Mann gehören, welcher in seiner Kraft ist. Und für die er Respekt erfährt. Soll heissen: Eine Macht, welche nicht auf Eigenschaften und Fähigkeiten gegründet ist, wie – beispielsweise - den oben genannten, welche nicht verdient, erworben wurde, ist hohl, im Sinne des Wortes un-verdient. Und gefährlich. Denn sie gab und gibt auch solchen Männern Macht, über die Frau oder ganz allgemein, welche nicht in ihrer Kraft waren oder sind und daher oft nicht verantwortungsbewusst mit ihr umgehen konnten und können. Ich finde es gut, dass wir Männern DIESE Macht verloren haben.  


Was hat diesen Prozess ausgelöst?

Bevor ich zu der Frage komme, was an all dem für uns Männer noch positiv sein soll ausser der Tatsache, dass wie unsere un-verdiente Macht verloren haben, möchte ich kurz auf die Frage eingehen: Was hat eigentlich diesen Veränderungsprozess ausgelöst? Warum haben sich die Anforderungen an den Mann, das Bild vom Mann, in den letzten 50 Jahren so stark verändert? Ganz allgemein ausgedrückt: Weil sich die Kultur, das soziale Umfeld, die wirtschaftlichen Bedingungen und damit auch die Frauen geändert haben. Diese Veränderungen haben entscheidend dazu beitragen, dass sich Mann und Frau auf Augenhöhe begegnen, vielleicht nicht immer, aber tendenziell, und die umgekehrte Situation gibt es ja auch. Verbunden ist diese Entwicklung mit Stichworten wie: Wahlrecht der Frau, Wegfall der gesetzlich geregelten Macht des Mannes über die Frau und die Familie, gleichberechtigter Zugang der Frau zu Bildung und Arbeit, ein hoher Bedarf der Wirtschaft an immer qualifizierteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ein stark verändertes Scheidungsrecht, um nur wenige Punkte zu nennen.  


Was ist für den Mann positiv an diesen Veränderungen?

Schauen wir uns an, wie heute das „Anforderungsprofil“ des Mannes aussieht, zumindest in den Kreisen, welche sich konstruktiv, weniger ideologisch, mit diesem Thema auseinandersetzen. Hier ein kleiner Ausschnitt:

Er soll stark sein, gradlinig, ein Kämpfer. Gleichzeitig soll er einfühlsam, sensibel sein. Er soll erfolgreich im Beruf sein. Gleichzeitig soll er sich um Haushalt, Partnerschaft, die Erziehung der Kinder kümmern. Er soll ein feuriger Liebhaber sein, zu seinen Wünschen und Vorstellungen stehen. Gleichzeitig soll er zärtlich und rücksichtsvoll sein und auf die Wünsche und Bedürfnisse der Partnerin eingehen.

Auf den Punkt gebracht könnte man dazu feststellen: Zu den herkömmlichen Anforderungen an das Mann-Sein oder die Männlichkeit kommt etwas hinzu, was neu ist in der DNA des Mannes: Die Qualitäten des Gegenpools zu den bisherigen Anforderungen, also das Gebiet, dessen Betreten uns seit undenklichen Zeiten verboten und für uns gefährlich war, für viele von uns aber auch oft das Land der Sehnsucht. Es geht um das Land der Gefühle, des Spürens, der emotionalen und sozialen Kompetenz. Um den Kontakt zum Herzen, seine Einbeziehung in unser So-Sein. Etwas, was bisher überwiegend die Stärke und Domäne der Frauen war und was von diesen mittlerweile von dem Mann eingefordert wird. Manchmal in einer Form (Vorwurf, ständige Anklage), die es uns nicht leichter macht. Aber nur weil die Form manchmal nicht besonders glücklich ist, muss der Inhalt ja nicht falsch sein. Und – ganz nebenbei: Wenn ich ein selbstbewusster, kraftvoller Mann bin könnte ich der „unglücklichen“ Form ja begegnen mit den Worten: Ich kümmere mich zukünftig verstärkt um die Kinder, ich spreche mit dir über meine Gefühle, OBWOHL du es auf diese Art von mir verlangst, nicht WEIL du es von mir verlangst.
Soviel zu dem veränderten „Anforderungsprofil“ Mann.


Und was ist nun der Grund für uns, dass wir uns freuen sollen?

Zu diesem Veränderungsprozess gehört, wie oben schon erwähnt, dass wir Männer uns mit dem, was das neue Mann Sein ausmacht, auseinandersetzen, gewollt oder nicht gewollt. Schon allein das ist ein Grund zur Freude. Und klären:


Was sind die „alten“ Qualitäten, welche den Mann wertvoll machen?
Wir hinterfragen uns und nehmen - vielleicht erstmals - wahr, wie wichtig und wertvoll Einstellungen, Haltungen, Fähigkeiten unserer männlichen Vorfahren sind. Z.B. sich in schwierigen Situationen nicht von den Emotionen überwältigen zu lassen, um damit seiner Aufgabe gerecht werden zu können. Disziplin, Zuverlässigkeit, Kraft, Verantwortungsbewusstsein, Risikobereitschaft, Mut. Und klären: Wo stehe ich da? Entspreche ich dem? Und nach der Klärung, sollten da wichtige Defizite bestehen, dafür gehen, dies zu ändern, sich Unterstützung zu suchen.

Was sind die „neuen“ Qualitäten, um als Mann wertvoll zu sein?
Es sind – kurz gesagt – die Qualitäten der Empathie, des Herzens und der Verbundenheit, mit sich und mit dem, was ich tue und wie ich es tue. Sie schlagen sich nieder in der Fähigkeit, seine Gefühle wahrzunehmen, mit ihnen umzugehen und sie auszudrücken. Und die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Diese neuen Qualitäten führen dazu, dass der Mann neue Aufgaben übernimmt oder sich stärker in bereits lange bestehenden Aufgaben engagiert, wie: Vaterschaft, Beziehungsarbeit, Arbeit für das Gemeinwohl etc. Und dann klären: Wo stehe ich bei diesen Qualitäten? Wie und wo kann ich diese Kompetenzen oder den Umgang mit neuen Aufgaben lernen oder vertiefen? Und dann dafür gehen!

Wenn wir Männer es schaffen, die Qualitäten zu leben, welche das Männliche schon bisher ausgezeichnet haben, und wenn wir Männer es schaffen, die neuen Qualitäten zu leben und diese mit den bisherigen männlichen Qualitäten verbinden, wird dies unsere Lebensqualität, die unseres sozialen Umfelds und das der Gesellschaft enorm verbessern. Wir werden z.B. bessere Partner, Väter, Vorgesetzte, Kollegen, Freunde, Politiker. Wir können verstärkt dazu beitragen, dass in unserer Gesellschaft kraftvoll und gleichzeitig menschenwürdig gestritten wird und unsere Gesellschaft sich in dieser komplizierten und unsicheren Welt behauptet. Die Frauen werden Partner haben, welche ihnen auf Augenhöhe begegnen, vielleicht kraftvolle Kerle sind, verbunden mit ihrem Herzen und fähig zum Ausdruck ihrer Gefühle.Wir werden unseren Kindern Väter sein, die ihre Liebe zeigen und sagen können, sie ermutigen, etwas zu probieren und zu wagen und ihnen Grenzen setzen, wo es notwendig und hilfreich ist. Wir werden Führungskräfte sein, welche kraft- und verantwortungsvoll führen und ihre Mitarbeiter als Menschen mitnehmen.
Und, nicht zuletzt: Diese Veränderungen, vielleicht besser: Diese Weiterentwicklung von uns Männern hat auch einen positiven Einfluss auf unsere physische und psychische Gesundheit.


In diesem anspruchsvollen Veränderungsprozess erfahren wir Unterstützung

Um dahin zu kommen, müssen wir uns bewegen, WIR sind gefragt. Wir brauchen aber auch Unterstützung. Und diese gibt es: Die mit diesem Veränderungsprozess verbundenen Themen nehmen einen immer breiteren Raum ein in unserer Gesellschaft und ihren Institutionen. Mittlerweile steuern die Politik und viele Unterstützer in vielen gesellschaftlichen Gruppierungen gegen Übertreibungen oder Irrwege. Sie erkennen z.B. die Wichtigkeit von männlichen Bezugspersonen für Jungen und sorgen u.a. dafür, dass es immer mehr männliche Erzieher in Kindergärten gibt oder männliche Lehrer, vor allem in den unteren Klassen. Es wurde Elternteilzeit oder Erziehungsurlaub für Väter eingeführt und vieles mehr, diese Beispiele sollen genügen. Und nicht zuletzt: Es gibt mittlerweile viele Männervereine und -organisationen und ein gewaltiges Angebot an verschiedensten Männerseminaren, welche diesen Prozess unterstützen.


Traum, Hoffnung oder Realität?

Sollest du das Gefühl haben, dass dies jemand schreibt, der träumt, dass dies eine Utopie ist, die keine Chance auf Verwirklichung hat, dann antworte ich dir: Ich weiss aus Erfahrung mit mir selbst und aus meiner 20jährigen Arbeit mit Männern, welche Veränderungen, welche Entwicklungen möglich sind, wenn Mann bereit ist, dorthin zu gehen, wo die Angst, der Vorbehalt, das Vorurteil ist, und die richtige Unterstützung hat. Und um wie viel erfüllter dadurch mein Leben geworden ist und das vieler Männer, welche an sich gearbeitet und die richtige Unterstützung gefunden haben, wo und bei wem auch immer. Das ist Wissen, Erfahrung, kein Traum. Und ich glaube fest daran, dass solche Männer, je mehr sie sind umso besser, zu einer Verbesserung unserer Gesellschaft beitragen werden. Das ist nicht Wissen, zugegeben, aber ein fester Glaube daran, dass dies nur eine Frage der Zeit ist.
Wir Männer haben allen Grund, uns zu freuen!

Günther Neuses
guenther@danielekirchmair.com

 

Danke für die vielen guten Rückmeldungen! Eine möchte ich hier gerne publizieren.

Lieber Günther!
Ich habe gerade deine Seite „Mann-Sein heute: Wir Männer haben allen Grund, uns zu freuen!“, gelesen. Hut ab! Ich gratuliere Dir dazu. Ich habe nur selten so eine gute Beschreibung über den heutigen Veränderungsprozess der Männer gelesen. Ich stimme Dir da ganz zu: den alten und neuen Qualitäten und der Möglichkeit zur positiven Symbiose; über den Prozess der aktuellen Verunsicherung; und Deine Unterscheidung zwischen „Form“ und „Inhalt“ für ein positive Veränderung in Beziehungen.
 
Ein guter Teil meiner Arbeit mit Paaren, beschäftigt sich mit der unglücklichen einmahnenden Form der Frauen, und mit dem Abwehren der Inhalte ihrer Männer. Bei all dieser Verunsicherung, können somit jüngere Männer, besonders die, die im Bannkreis der Frauen sozialisiert wurden und von der (meist weiblichen) Psychologisierung der heutigen Gesellschaft beeinflusst sind, schon zu viel Anima in sich haben.
 
Was mir besonders gefällt, ist, dass Du das Polaritätsprinzip hochhältst und den Lösungsansatz „Beides“ forcierst. Beides darf sein, das spezifisch Weibliche und das spezifisch Männliche. Dieses Spannungsfeld, ist für viele Männer wie auch Frauen, schwer auszuhalten. Sich nur auf eine Seite zu schlagen, ist da einfacher.
 
Mit besten Grüssen, Gottfried
Diplom-Lebensberater Gottfried Kühbauer, Wien

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